Von Wolfgang Boos, Gerret Lukas, Bernd Haase, Jan Schenk
Werkzeuge für die Blechverarbeitung aus dem deutschsprachigen Raum sind oftmals teurer als beispielsweise welche aus Osteuropa oder Asien. Im Gegenzug zu den Mehrkosten müssen Werkzeuge dem Produzenten einen Mehrwert liefern, um konkurrenzfähig zu sein. Ein Beispiel hierfür ist höhere Qualität, die zur höheren Standmenge und damit zu geringeren Kosten pro produziertem Teil führt. Häufig fehlt jedoch die volle Datentransparenz über den Werkzeuglebenszyklus, um reduzierte Kosten pro produziertem Bauteil nachzuweisen. Die Transparenz kann im Weiteren auch genutzt werden, um Optimierungen an Komponenten vorzunehmen oder sogar Werkzeugausfälle vorherzusagen. Transparenz über den Werkzeuglebenszyklus kann damit sowohl dem Werkzeugbau als auch der Produktion einen großen potentiellen Mehrwert bieten.
Doch woher kommen diese Informationen?
Mit der Digitalisierung sind in der Produktionslandschaft viele unterschiedliche Softwaresysteme entwickelt und eingeführt worden. Ob CAD, ERP, MES oder PPS, allen ist gemeinsam, dass sie sich an der Prozesskette eines Unternehmens orientieren und nicht am Werkzeuglebenszyklus. Diese Orientierung sorgt dafür, dass in der Praxis Daten zu einzelnen Blechwerkzeugen über viele Systeme verteilt sind. Die Idee einer digitalen Werkzeugakte ist es, in einem zentralen System Daten des gesamten Werkzeuglebenszyklus aus Werkzeugsicht zusammenzuführen. Im einfachsten Fall ist die digitale Werkzeugakte also ein System, dass bereits im Unternehmen vorhandene Daten zusammenführt, aus Werkzeugsicht anordnet und an den richtigen Stellen einfach zugänglich macht. Das Konzept einer „digitalen Akte“ ist dabei nicht neu, sondern folgt den Beispielen von digitalen Fahrzeug-, Produkt- oder Patientenakten.
Wie lassen sich diese Daten verwenden?
Nach der Schaffung von Transparenz bieten sich weitere Potentiale durch die digitale Werkzeugakte. Aus Sicht der Datenverarbeitung handelt es sich um eine „deskriptive“ Analyse“, sie beantwortet die Frage „Was ist passiert?“. Aufeinander aufbauend können diagnostische („Warum ist etwas passiert?“), prädiktive („Was wird passieren?“) und präskriptive Analysen („Welche Maßnahmen sind zu treffen?“) durchgeführt werden. In der Praxis ließen sich damit beispielsweise folgende Fragen beantworten: „Warum hält eine baugleiche Komponente unterschiedlich lange?“, „Welche Standmenge wird das Werkzeug haben?“, „Welche Änderungen am Werkzeug führen zu einer erhöhten Standmenge?“. Um insbesondere auch die prädiktiven und präskriptiven Analysen durchführen zu können, werden jedoch größere Datenmengen benötigt, sodass digitale Werkzeugakte und Werkzeug weiterentwickelt werden müssen, um detailliertere Daten zu erfassen. Insgesamt entwickelt sich die digitale Werkzeugakte ähnlich wie die Industrie 4.0 und bildet gewissermaßen den Industrie 4.0-Baustein für das Werkzeug. So überrascht es auch nicht, dass die digitale Werkzeugakte in größtmöglicher Ausführung den digitalen Zwilling des Werkzeugs darstellt.
Wie geht es weiter?
Für die Entwicklung einer digitalen Werkzeugakte gibt es jedoch auch noch viele Fragestellungen zu klären. Neben hohem Entwicklungsaufwand und einhergehenden Kosten fehlen in vielen Unternehmen Kompetenzen im Bereich Softwareentwicklung und Datenanalysen. Bei der Zusammenarbeit von produzierenden Unternehmen mit externen Werkzeugbaubetrieben gilt es, sich zudem um das Thema IP-Schutz und Datenhoheit zu kümmern. Die WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH verfolgt das Ziel, als Dienstleister eine digitale Werkzeugakte zu entwickeln, die leicht auf die individuellen Anforderungen von einzelnen Unternehmen angepasst werden kann.